Abendandacht in der Evangelischen Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau
Ruth Klüger (1931-2020) überlebte als jüdisches Mädchen aus Wien das Ghetto Theresienstadt, die Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau und Christianstadt, ein Außenlager von Groß-Rosen, sowie den Todesmarsch. 2017 sagte sie in einem Interview zu ihrer Zeit nach der Befreiung im niederbayerischen Straubing: „Es gab eine Zeit, in der ich richtig glücklich war. Das war der Sommer 1945. Ich war frei, die Sonne schien, und alles blühte wie verzaubert. Ich habe Schwimmen und Radeln gelernt. Es war ganz einfach, ich habe mich draufgesetzt und bin losgefahren. Das war eine Ausweitung des Lebens, wie ich sie nie vorher und nie nachher erlebt habe. Dieser Sommer steckt in mir, er hat mir Kraft gegeben.“
In der Konzertandacht an einem Sommerabend 80 Jahre danach liest die aus dem Bayerischen Rundfunk bekannte Sprecherin Julia Cortis aus den Erinnerungen von Professorin Dr. Ruth Klüger. Die bedeutende Literaturwissenschaftlerin und Bestsellerautorin („weiter leben – Eine Jugend“, 1992) hatte Dachau auf Einladung der Versöhnungskirche zuletzt vor zehn Jahren im Sommer 2015 besucht. Vor fünf Jahren ist die Zeitzeugin kurz vor ihrem 89. Geburtstag in den USA verstorben, wo sie seit 1947 lebte.
Zudem trägt Julia Cortis Zeugnisse weiterer KZ-Überlebender über ihren ersten Sommer nach der Befreiung vor:
Esther Bejarano (1924-2021), als jüdische Jugendliche ab Juni 1941 im Zwangsarbeitslager Neuendorf (Brandenburg) interniert und im April 1943 nach Auschwitz deportiert, überlebte das Vernichtungslager als Musikerin im sogenannten "Mädchenorchester" und danach noch das KZ Ravensbrück und den Todesmarsch. Die Wochen nach ihrer Befreiung in Mecklenburg schildert die Musikerin und Antifaschistin in ihren 2013 veröffentlichten Erinnerungen "Vom Mädchenorchester in Auschwitz zur Rap-Band gegen rechts": "Adolf Hitlers Bild brannte lichterloh, die amerikanischen und russischen Soldaten und die Mädchen aus dem KZ tanzten um das Bild herum, und ich spielte Akkordeon. Dieses Bild werde ich nie vergessen." Auf Einladung der Versöhnungskirche kam Ester Bejarano im Herbst 2013 zu Lesung und Konzert ins Dachauer Jugendkulturzentrum "Freiraum". In den folgenden Jahren wirkte die Vorsitzende des Auschwitz-Komitees und Ehrenvorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN) mehrfach als Zeitzeugin bei der Internationalen Jugendbegegnung mit. Im Sommer 2021 verstarb sie im Alter von 96 Jahren in Hamburg.
Uri Chanoch (1928-2015), nach glücklicher Kindheit in Kaunas (Litauen) überlebt er unter NS-Herrschaft die Internierung im Ghetto, das KZ Stutthof und ab Sommer 1944 die mörderische Sklavenarbeit im Außenlagerkomplex Landsberg-Kaufering des Konzentrationslagers Dachau. Fast seine gesamte Familie wurde in der Shoah ermordet. In seinen posthum erschienenen Erinnerungen "Von Kaunas über Dachau in ein neues Leben" (Originalausgabe 2018, deutsche Version 2022) beschreibt er seine Zeit nach der Befreiung in Landsberg: "Wir waren froh, dem Tod entkommen zu sein und unser Leben wie auch unsere Freiheit zurückgewonnen zu haben. Aber Freude empfanden wir nicht. Meine Fähigkeit für Gefühle schien aus mir herausgerissen zu sein." Später wurde Uri Chanoch in Israel ein glücklicher Familienvater und erfolgreicher Geschäftsmann. In seinen letzten 20 Lebensjahren engagierte er sich für andere Shoah-Überlebende und sprach immer wieder auch in Deutschland als Zeitzeuge. 2015 verstarb er im Alter von 87 Jahren in Israel.
Karl Adolf Groß (1892-1955), als Homosexueller 1931 aus seinem Dienst als evangelischer Pfarrer in Württemberg entfernt, in der NS-Zeit als Verleger in Berlin wegen großer publizistischer Widerstandsaktionen 1939 ins KZ Sachsenhausen verschleppt, 1940 nach Dachau, wo er heimlich Tagebuch führen konnte - was er in den Wochen nach der Befreiung fortführte. Ende Mai 1945 notiert er nach dem Besuch eines Gottesdienstes in der Dachauer Stadtpfarrkirche St. Jakob: "O Stunde des Glücks und des Dankes, o lachender Sonnenschein, o ihr sattgrünen Wiesen und ihr Menschenbrüder alle, die ihr uns jetzt als Gleichberechtigten begegnet!" 1946 veröffentliche er die Aufzeichnungen in seinem Neubau Verlag in München. Vor 70 Jahren starb Karl Adolf Groß 62jährig an den Spätfolgen der Haft in München. Erst im Herbst 2020 wurde öffentlich, dass der Theologe auch als Homosexueller von Kirche und Staat verfolgt wurde. Im Gedenkgottesdienst der Versöhnungskirche für verfolgte Homosexuelle würdigte im Frühjahr 2021 Claudia Roth, damals Bundestagsvizepräsidentin, Karl Adolf Groß.
Vier junge Musikerinnen und Musiker wirken mit mehrstimmigem Gesang bei der Gestaltung der Konzertlesung mit.
Organisatorisches
Termin: Sonntag, 29. Juni 2025, 20:00 Uhr
Ort: Evangelische Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau
Zugang von 19.30-20.00 Uhr über das Kloster Karmel, Alte Römerstraße 91, 85221 Dachau
Tel.: 0 81 31 – 1 36 44; E-Mail: aW5mb0B2ZXJzb2VobnVuZ3NraXJjaGUtZGFjaGF1LmRl
Parkmöglichkeit am Kloster Karmel, Gäste dürfen den privaten Kloster-Parkplatz nutzen, zu erreichen auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln (MVV-Bushaltestelle Kloster Karmel), nach der Veranstaltung wird für Mitfahrgelegenheit zum S-Bahnhof Dachau gesorgt.
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