2. Pressemeldung des "Hilfsnetzwerk für Überlebende der NS-Verfolgung in der Ukraine"

Die Stiftung Bayerische Gedenkstätten ist Mitglied des am 9. März 2022 gegründeten und mittlerweile aus 46 Gedenkstätten, Museen und Initiativen bestehenden „Hilfsnetzwerk für Überlebende der NS-Verfolgung in der Ukraine“. Dank der der großen Hilfsbereitschaft konnte unmittelbar nach dem Spendenaufruf mit ersten Auszahlungen beginnen. Innerhalb des ersten Monats des Bestehens wurden bereits rund 30.000 Euro an Überlebende der NS-Verfolgung, ihren Angehörigen sowie durch den Krieg betroffene Kolleg:innen aus der Ukraine weitergeleitet. Die folgende Pressemitteilung ist eine Rückschau auf die vergangenen vier Wochen.

Evakuierung nach Deutschland

Die erste finanzielle Soforthilfe ging an die 1943 geborene Raisa Nabaranchuk. Mitglieder ihrer Familie gehörten zu den Opfern und Überlebenden von Massenerschießungen in der Nähe von Kiew. Am 29./30. September 1941 ermordeten die deutschen Täter und ihre Kollaborateure fast 34.000 jüdische Kinder, Frauen und Männer in der Schlucht von Babij Jar. Auch Rom:nja wurden an diesem Ort erschossen. Die ukrainische Dichterin konnte mit Hilfe einer Vielzahl von Organisationen nach Deutschland evakuiert und in Sicherheit gebracht werden. Der im Hilfsnetzwerk vertretene Zentralrat Deutscher Sinti und Roma setzte sich dafür ein, dass sie vom Hilfsnetzwerk eine erste unmittelbare Unterstützung erhielt, da sie mit ihrer Familie völlig mittellos in Freiburg ankam.

Vielen Überlebenden ist es besonders wichtig, dass darüber hinaus ihren Angehörigen geholfen wird. Zu den Nachfahren pflegen viele der im Netzwerk vertretenen Gedenkstätten, Museen und Initiativen engen Kontakt, da auch sie sich zum Teil über mehrere Jahre hinweg für eine aktive Erinnerungskultur an die Nazi-Verbrechen in Europa eingesetzt haben. So unterstützte das Hilfsnetzwerk beispielsweise den Neffen von zwei Opfern des KZ Neuengamme, Ivan Titow und Nikolai Titow. Seine Tochter Irina befand sich bereits in Polen  – wir organisierten dann die Evakuierung der Familie aus der Ukraine und aus Polen nach Hamburg. Neben Hilfe bei der Flucht unterstützen wir Überlebende und ihre Angehörigen auch bei der Suche nach einer Unterkunft in Deutschland. Die Tochter von Viktor Karpus, Überlebender des KZ Buchenwald, schrieb uns nach einer Auszahlung von Soforthilfe an ihre Familie: „Es ist sehr berührend, dass Sie sich in einer schwierigen Zeit für unser Land und uns an uns erinnern, uns unterstützen, sich Sorgen machen! Vielen Dank für die finanzielle Unterstützung! Leider kann das Unternehmen, wo ich arbeite, jetzt nicht mehr sein Geschäft führen und uns ein Gehalt zahlen. Und diese Hilfe ist wie ein Wunder!! Ich bin sehr froh, dass mein Vater mich mit nach Weimar genommen hat und ich da wunderbare Menschen kennengelernt habe! Vielen Dank!“

Hilfe in der Ukraine

Uns ist es wichtig, auch jene Betroffene zu erreichen, die nicht mehr fliehen können oder wollen. Vielen hochbetagten Überlebenden dienen die finanziellen Unterstützungen dazu, Medikamente und Nahrungsmittel zu besorgen, was in der angespannten Kriegswirtschaft teilweise sehr schwierig ist. Über das Projekt „Netzwerk Erinnerung“ der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas erreichten wir insgesamt 49 Überlebende der Jüdischen Gemeinden in Berdichiv und Bratzlaw mit einer Direktspende.

Darüber hinaus steht das Netzwerk in engem Kontakt zu anderen Einzelpersonen und Einrichtungen, die ähnliche Hilfe leisten. Dazu gehört beispielsweise die Jewish Claims Conference, die zusammen mit jüdischen Hilfsorganisationen bereits über 50 Holocaust-Überlebende mit Rettungswagen in jüdische Alters- und Pflegeheime nach Deutschland bringen konnte. Unser Ziel ist es, diese Strukturen zu nutzen, um über das Hilfsnetzwerk auch nichtjüdische Überlebende der NS-Verfolgung nach Deutschland zu transportieren. Auch die ukrainischen Historikerinnen Tetiana Pastushenko und Ljuba Danylenko setzen sich unermüdlich vor Ort von Ushgorod aus für die Soforthilfe von Überlebenden der NS-Verfolgung im ganzen Gebiet der Ukraine ein. Wir konnten ihnen bei der Auszahlung von finanziellen Unterstützungsleistungen aber auch beim Erwerb von Medikamenten oder Hygieneartikeln behilflich sein.

Anatoly Podolsky, Direktor des Ukrainischen Zentrums für Holocaust Studien, bedankte sich mit den Worten: „Ihre Hilfe für die verschiedenen Gruppen von Überlebenden und ehemaligen Opfern der Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs trägt dazu bei, das Leid dieser Menschen zu lindern und sie mit den grundlegenden Mitteln auszustatten, um einen weiteren schrecklichen Krieg in Europa zu überleben.“

Unterstützung für Kolleg:innen

Schließlich setzt sich das Hilfsnetzwerk auch für Kolleg:innen in der Ukraine ein, die durch den Krieg stark betroffen sind. Das Ukrainische Zentrum für Holocaust Studien unterstützt das Hilfsnetzwerk bei der Ermittlung von bedürftigen Kolleg:innen. Viele von ihnen, versuchen sich seit Wochen in ihren Kellern zu schützen oder sind aus ihren zerbombten Wohnungen geflüchtet. Das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit hat u.a. Kontakte zur Staatlichen Universität und zur Stadtbibliothek Mariupol. Zehn Kolleg:innen konnten der belagerten und zerstörten Stadt entkommen und befinden sich zur Zeit in Dnipro oder Zaporizhzha. Sie erhielten finanzielle Unterstützung für sich und ihre Familien, um sich mit dem Notwendigsten versorgen zu können.

Das „Hilfsnetzwerk für Überlebende der NS-Verfolgung in der Ukraine“ möchte vor allem jene Personen erreichen, die noch nicht in organisierte Hilfsstrukturen eingebunden sind und leistet auch weitere Vernetzungsarbeit. Eine Hilfsanfrage des Holocaust-Museums Odessa zur Unterstützung von 234 Überlebenden von Konzentrationslagern und Ghettos überstieg die finanziellen Möglichkeiten des Hilfsnetzwerks. Diese wurde daher an die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft weitergeleitet. Die Stiftung ist ebenfalls im Hilfsnetzwerk vertreten und unterstützt die Koordination des Hilfsnetzwerkes mit einer Projektförderung beim Berliner Verein KONTAKTE-KOHTAKTbI.

Dr. Christine Glauning, Leiterin des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide, betont: „Ukrainische Überlebende der NS-Verfolgung müssen zum zweiten Mal in ihrem Leben einen furchtbaren Angriffskrieg erleben. Die Berichte über ihre aktuelle Situation infolge des russischen Überfalls sind erschütternd. Viele sind krank und oft zu schwach, um in die Bunker zu gehen. Wir bitten die deutsche Öffentlichkeit eindringlich um Spenden für die letzten Überlebenden der NS-Diktatur und ihre Angehörigen. Auch die vielen ukrainischen Kolleg:innen, mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten, sind schwer vom Krieg betroffen. Sie brauchen ebenfalls dringend unsere Unterstützung.“

Spendenkonto bei der Berliner Volksbank:

Empfänger: Kontakte-Kontakty
IBAN: DE59 1009 0000 2888 9620 02
BIC: BEVODEBB

Die Pressemeldung können Sie hier herunterladen.